Von Ralf Kretzschmar – aktualisiert am 22.04.2022
Die Digitalisierung gewinnt in Deutschland in immer mehr Branchen an Momentum. Zahlreiche Startups finden und
etablieren digitale Lösungen für zuvor klassisch analoge Bereiche, so etwa im Finanzsektor (FinTech) und bei Versicherungen (InsurTech).
Seit einigen Jahren hat die Entwicklung auch die Immobilienwirtschaft erreicht. Der Begriff
PropTech (engl. „property“ und „technology“) ist das Buzzword
für die Verwendung von digitalen Technologien in diesem Sektor.
Über 250 PropTech-Unternehmen gibt es mittlerweile schon in Deutschland und das in den verschiedensten
Branchen. Erfahren Sie hier, in welchen Bereichen neue PropTechs klassische Immobilienunternehmen besonders
herausfordern.
Bei der Planung und Visualisierung von Bauprojekten sind computergestützte Lösungen in der Immobilienwirtschaft längst
nicht mehr wegzudenken. Zahlreiche Unternehmen bieten individualisierte Lösungen mit CAD-Programmen
(eng. „computer-aided design“) an, also etwa 3D-Visualisierungen von geplanten Gebäuden.
Als neuer Trend in der Branche gelten Virtual-Reality-Simulationen, die von immer mehr PropTechs
angeboten werden. Mit dieser Technologie können Projektentwickler und potenzielle Käufer dank einer VR-Brille das
geplante Objekt in Echtzeit betreten. Projektentwickler und Eigentümer vermeiden dadurch gegenseitige Missverständnisse
im Planungs- und Bauprozess.
Potenzielle Käufer und Mieter wiederum können die Immobilie schon sehr früh und im Detail
besichtigen. Verschiedene Arrangements von Raum und Materialien werden mit der VR-Brille live erlebbar und können in
Sekundenschnelle verändert werden. Sowohl die Prozesse in der Entwicklung als auch in der Vermarktung lassen sich
durch Virtual Reality somit deutlich optimieren. Der Einsatz der Technologie steht in beiden Geschäftsfeldern aber
noch ganz am Anfang.
PropTechs im Bereich des Maklerwesens (wie „McMakler“, „Maklaro“ oder „Homeday“) waren mit der Vorstellung angetreten,
klassische Makler vollkommen zu ersetzen. Mittlerweile hat sich ein hybrides Geschäftsmodell
durchgesetzt.
Die Kundenakquise und die Analyse von Immobilien finden hierbei digital statt. Insbesondere bei der Akquise haben die
Portale aufgrund des einfachen Zugangs und der transparenten Informationen einen klaren Vorteil gegenüber der
klassischen Immobilienvermittlung. Bei der Bewertung von Immobilien kommt zur Beschleunigung der Geschäftsprozesse
mittlerweile auch Künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz.
Die Beratung vor Ort bleibt jedoch analog – die Startups mussten sich hier auf die Kundenwünsche
einstellen und von Ihrer Vorstellung einer vollständig digitalen Beratung erst einmal abrücken. Sie verfügen nun
über ein breites Netzwerk von klassischen Immobilienmaklern. Je nach Geschäftsmodell sind diese entweder fest bei
der jeweiligen Plattform angestellt oder die Startups vermitteln nur den Kontakt zwischen Käufern und Maklern. Der
Umsatz der digitalen Makler ist im Vergleich zu den klassischen Anbietern aber immer noch gering.
Smart Home oder Internet der Dinge: Diese Begriffe haben sich für intelligente und vernetzte Lösungen im
Privathaushalt etabliert. Bekannt und beliebt geworden sind in den letzten Jahren vor allem Systeme mit
Sprachsteuerung (zum Beispiel „Alexa“ oder „Siri“) und auch Staubsauger-Roboter, die automatisch für Sauberkeit in der
Wohnung sorgen.
Die zukünftige Vision des Smart Homes geht aber weit darüber hinaus und ist auch für Immobilienunternehmen interessant.
Sie umfasst zum Beispiel die automatische Steuerung von Strom und Heizung sowie digitale Türschlösser in
Privatwohnungen. Mit letzteren, den sogenannten Smart Locks, kann die Tür auch aus der Ferne für andere
Personen, etwa die Post oder eine Reinigungskraft geöffnet werden.
Weitaus praktikabler scheinen Smart Meter, also intelligente Stromzähler, zu sein.
Mit ihnen lassen sich Stromfresser identifizieren und der Stromverbrauch somit signifikant senken. Bei Smart Metern
wird zwischen modernen Stromzählern und intelligenten Stromzählern unterschieden. Als modern gilt ein Stromzähler,
wenn er über ein digitales Display verfügt; als intelligent, wenn er mit dem Internet verbunden ist. In Deutschland
wurde 2015 die Smart-Meter-Pflicht beschlossen: Sie besagt, dass bis 2032 jeder deutsche Stromzähler entweder
intelligent oder modern sein muss.
Die Vermittlung von Mietzimmern und Ferienwohnungen über Online-Plattformen ist in der Immobilienbranche seit einiger
Zeit etabliert. Weltweit haben Großstädte mittlerweile auch Maßnahmen ergriffen, um den häufig knappen Wohnraum zu
schützen. Auch deswegen bleibt der Bereich der temporären Vermietung in Bewegung.
Neue PropTechs (etwa „Wunderflats“ oder „GoLiving“) bieten die kurzzeitige Vermietung von hochwertigen
Wohnungen an, wodurch sich auch trotz der Mietpreisbremse hohe Mieterträge erzielen lassen. Die Anbieter
möblieren die Wohnung meist nicht nur hochwertig, sondern kümmern sich auch um die Reinigung der Räume. Außerdem bieten
sie ihrer Zielgruppe – mobilen Young Professionals – verschiedene Freizeitaktivitäten an.
Auch die Online-Vermietung von Büroräumen gewinnt in Deutschland an Fahrt. Besonders Coworking
Spaces, also flexible Gemeinschaftsbüros, werden immer beliebter. In diesen Großraumbüros arbeiten
nicht nur die Mitarbeiter eines Unternehmens, sondern es treffen ganz verschiedene Freelancer, Selbständige und
kleine Startups aufeinander. Die Infrastruktur (also Tische, Stühle, WLAN und Beamer) wird dabei gestellt und kann
individuell und unkompliziert den jeweiligen Bedürfnissen angepasst werden.
Das Immobilien-Crowdinvesting verbindet die
Vorteile von FinTechs und PropTechs miteinander. Über eine Online-Plattform wie BERGFÜRST schließen sich dabei viele kleine Anleger zu einer Crowd zusammen, um
in große Immobilienprojekte zu investieren.
Beim Crowdinvesting erhalten die Anleger im Gegensatz
zum Crowdfunding nicht nur ein kleines Dankeschön,
sondern sie werden mit einer Rendite belohnt. Außerdem profitieren Anleger von den geringen Anlagebeträgen ab 10 € und
der dadurch möglichen Risikostreuung, da sie nicht alles
auf eine Karte setzen müssen.
Neues Wachstum steht für diese PropTechs zudem in Aussicht, da der Bundestag 2019 die bisher engen gesetzlichen Grenzen für das Crowdinvesting
gelockert hat. Seit dem 15.07.2019 dürfen Privatanleger bis zu 25.000 € statt wie bisher 10.000 € pro
Immobilienprojekt investieren. Auch für Projektentwickler haben sich die Bedingungen verbessert: Sie können nun
durch Crowdinvesting bis zu 6 Mio. € und nicht wie bisher nur 2,5 Mio. € pro Immobilie finanzieren lassen.
In dieser Übersicht konnten natürlich nicht alle Branchen der PropTech-Szene vorgestellt werden. Vor allem im Bereich
der Immobilienbewirtschaftung und -verwaltung gab es in den letzten Jahren ebenfalls zahlreiche
Unternehmensneugründungen. Insgesamt befinden sich die meisten PropTechs in Deutschland und Europa noch in der
Wachstumsphase und machen nur einen kleinen Teil der Immobilienwirtschaft aus.
Ein sogenanntes Unicorn, also ein Startup mit der Bewertung von 1 Mrd. $, fehlt in der europäischen
PropTech-Branche bisher (Stand: April 2020). Und dass, obwohl mittlerweile über 80 Startups in Europa diesen Rang
erreicht haben und sich zahlreiche PropTechs aus Asien und den USA bereits längst zum exklusiven Kreis der Unicorns
zählen dürfen.
Als Ursache für das fehlende europäische PropTech-Unicorn gelten die verschiedenen rechtlichen und kulturellen Räume in
Europa, die Unternehmen ab einer gewissen Stufe die Expansion erschweren. Wie gesehen steht die Revolution der
Immobilienbranche durch die Digitalisierung in vielen Bereichen aber erst am Anfang. Wirklich durchsetzen werden sich
zahlreiche Ideen wohl erst in den kommenden Jahren. Das erste PropTech-Unicorn in Europa ist also nur noch eine Frage
der Zeit.
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