Leitzins der EZB: Wie funktioniert die Geldpolitik der Zentralbank genau – und welche Folgen hat sie?

Von Mauritius Kloft – aktualisiert am 11.04.2024

Jeder hatte ihn bereits in der Hand: Einen Geldschein mit der Unterschrift von Christine Lagarde, Präsidentin der
Europäischen Zentralbank (EZB). Die EZB ist die Hüterin des Euro – und soll mit ihrer Geldpolitik für
Preisstabilität im
Eurosystem sorgen. Ihr oberstes Mittel dazu ist der Leitzins, den sie im Sommer 2022 nach elf Jahren wieder anhob und so
eine „Zinswende“ einläutete.

Doch wie funktioniert der Leitzins der Zentralbank genau? Und welche Folgen zieht eine Zinserhöhung
nach sich? Wir klären die wichtigsten Fragen rund um die Geldpolitik der EZB.

Steuert die EZB nur den Leitzins?
Mehr zu den Instrumenten
der Geldpolitik

Wollen Sie den besten Zins finden?
Zum Tagesgeld-Vergleich!

Warum möchten Sie Geld anlegen?

Jetzt Anlegertest machen

Wie funktioniert die Geldpolitik der EZB genau?

Die Europäische Notenbank ist für die Geldpolitik in der Eurozone zuständig. Das bedeutet – kurz gesagt
– sie kümmert
sich um die Verfügbarkeit des Geldes[1] und versucht, seinen Preis zu regulieren. Die
Zentralbanker werden daher auch als
Währungshüter bezeichnet.

Das vorrangige gesamtwirtschaftliche Ziel ihrer Geldpolitik ist die sogenannte Preisniveaustabilität.
Die EZB will also
die Inflationsrate stabil halten, mittelfristig liegt das Ziel hierfür bei einer jährlichen Inflation von
2,0 %
. Dafür
steuert die Zentralbank die Geldmenge: Sie legt also fest, wie viel Geld in der Eurozone im Umlauf ist. Dabei
unterscheidet man zwischen einer expansiven bzw. ultralockeren und einer restriktiven bzw. straffen
Geldpolitik[2]:

  • Expansive Geldpolitik: Senkt die EZB die Leitzinsen, steigt die Geldmenge an. Für
    Geschäftsbanken wird es
    günstiger, sich zu refinanzieren. Für Unternehmen wird es ebenfalls billiger, einen Kredit bei einer Bank
    aufzunehmen und zu investieren. Auch Verbraucherinnen und Verbraucher können nun günstige Darlehen oder
    Konsumentenkredite aufnehmen. Die Folge einer lockeren Geldpolitik: Die Konjunktur heizt sich auf, die Preise
    ziehen an.
  • Restriktive Geldpolitik: Hebt die Notenbank hingegen die Zinsen an, soll das die Geldmenge
    verringern. Denn für
    Geschäftsbanken wird es teurer, sich Geld bei der EZB zu leihen. Daher werden Kredite für Unternehmen
    unattraktiver. Firmen stellen nun Investitionen zurück und bauen weniger Arbeitsplätze auf. Die Konsumnachfrage
    sinkt ebenfalls, die Konjunktur kühlt sich ab. Das soll dafür sorgen, dass die Inflation abnimmt.

Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank ist seit 1. November 2019 die Französin Christine
Lagarde
, sie löste den Italiener Mario Draghi ab. Als Präsidentin sitzt Lagarde dem Rat
der EZB
vor. In diesem sind neben ihr weitere fünf Mitglieder des EZB-Direktoriums als auch die
19 Präsidenten der nationalen Notenbanken im Euroraum organisiert. Der EZB-Rat bestimmt die Geldpolitik der
Notenbank und entscheidet so auch über eine Anhebung der Zinssätze.

Wann stehen die Zinsentscheidungen an?

Der EZB-Rat trifft sich regelmäßig, um über den geldpolitischen Kurs der Zentralbank zu diskutieren. Bei den Sitzungen
steht aber nur alle sechs Wochen ein Zinsentscheid an. Für das Jahr 2024 sind noch an folgenden Terminen Zinsentscheide geplant[3]:

  • 06. Juni
  • 18. Juli
  • 12. September
  • 17. Oktober
  • 12. Dezember

Die Redaktion von BERGFÜRST wird Sie über die Zinsentwicklung auf dem aktuellen Stand halten.

Welche Instrumente hat die EZB für die Geldpolitik?

Um ihren Auftrag im Rahmen der Geldpolitik zu erfüllen, die Geldmenge anzupassen und das Preisniveau zu stabilisieren,
hat die EZB maßgeblich zwei Instrumente: Sie kann zum einen ihre Zinssätze anpassen, zum anderen kann
sie Staatsanleihen kaufen oder verkaufen.

Zinssätze der EZB

Im Normalfall spricht man nur von einem Leitzins. Das aber ist nicht ganz korrekt. Denn die EZB hat genau genommen drei
Leitzinssätze, die sie anpassen kann[4]. Die Namen klingen etwas kompliziert, doch davon
sollten Sie sich nicht abschrecken
lassen.

Eine Übersicht:

Zinssatz für das Hauptrefinanzierungsgeschäft

Den Hauptrefinanzierungssatz müssen Geschäftsbanken zahlen, wenn sie sich Geld bei der Europäischen Zentralbank
leihen
möchten
, sich also refinanzieren wollen. Er ist deshalb der wichtigste Zinssatz der EZB. Der
Hauptrefinanzierungssatz
wird daher im Regelfall als der „Leitzins“ bezeichnet.

Das Hauptrefinanzierungsgeschäft der EZB läuft dabei über ein sogenanntes Tenderverfahren, bei dem sich Banken
Liquidität beschaffen können. Jede Woche versteigert die Notenbank im Grunde einen Kredit, der von der EZB an diejenige
Geschäftsbank verliehen wird, die den höchsten Zins zahlt. Das Mindestgebot muss mindestens beim Zinssatz für das
Hauptrefinanzierungsgeschäft liegen, dem Leitzins.

Der Leitzins liegt aktuell () bei . Lange Zeit rangierte der Hauptrefinanzierungssatz der EZB
dagegen nur bei 0 %. Im Zuge der stark gestiegenen Inflation infolge des Ukraine-Krieges hob die Notenbank ihn
jedoch schrittweise an (mehr dazu unten).

Zinssatz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität

Zum Spitzenrefinanzierungssatz können sich Geschäftsbanken kurzfristig Geld bei der EZB leihen, das
heißt: über Nacht.
Dafür müssen sie bestimmte Sicherheiten bei der Notenbank hinterlegen. Die Kredite werden bereits am nächsten Tag
fällig.

So können Kreditinstitute etwa gesetzliche Einlagen finanzieren und erfüllen. Der Spitzenrefinanzierungssatz liegt
aktuell () bei .

Zinssatz für die Einlagefazilität

Zum Einlagezinssatz können Geschäftsbanken überschüssiges Geld bei der EZB parken. Der Einlagensatz
rangiert aktuell () bei .

Beim Einlagenzins zeigte sich die Zinswende deutlich: Denn der Einlagensatz war bis 2022 noch negativ, rangierte bis
2022 bei minus 0,5 %. Geschäftsbanken mussten also noch dafür zahlen, wenn sie ihr Geld bei der EZB parken wollten.
Das gaben sie in Form von sogenannten Verwahrentgelten an Sparer weiter, was nichts anderes als Strafzinsen bedeutete.

Entwicklung der EZB-Zinssätze zwischen 2019 und heute

Entwicklung der EZB-Zinssätze
Quelle:

Bundesbank 

Ankauf von Staatsanleihen

Neben ihren Zinssätzen kann die EZB noch die Geldmenge regulieren, indem sie Staatsanleihen aufkauft und so
direkt Geld
in den Markt pumpt
. Oftmals wird in dem Zusammenhang davon gesprochen, dass die Notenbank Geld „druckt“ –
das stimmt aber höchstens im übertragenen Sinne. Denn die Druckerpresse wirft die EZB nicht an.

Weitet sie den Ankauf von Staatsanleihen aus, steigt die
Geldmenge, was die Inflation anheizen soll. Denn: Je mehr Geld
im Umlauf ist, desto weniger ist es wert. Das treibt die Konsumfreudigkeit und entsprechend die Preise. Fährt die
Notenbank den Ankauf von Staatsanleihen indes zurück, funktioniert das Phänomen genau andersherum: Die EZB nimmt wieder
Geld aus dem Markt, lässt den Wert des Geldes ansteigen und drückt so die Teuerung.

Wie hat sich der Leitzins der EZB entwickelt?

Im Zuge der stark gestiegenen Inflation[5] hat die EZB ihren Leitzins ab dem Sommer
2022 deutlich
angehoben
, in
regelmäßigen Schritten. Nach zehn Anhebungen machte sie Ende Oktober 2023 eine Pause, die sie im Dezember 2023, im Januar sowie im Frühjahr 2024 fortsetzte. Der Leitzins rangiert aktuell () bei , der Einlagenzins liegt bei
und der Spitzenrefinanzierungssatz bei [6] (siehe oben). Diese Leitzinsanhebung wird
allgemein als „Zinswende“ bezeichnet. Allerdings ist es wahrscheinlich, dass der Zinsgipfel mittlerweile erreicht ist – vielmehr diskutieren Experten bereits darüber, wann die EZB ihre Leitzinsen wieder senkt. Experten rechnen im Juni mit einer ersten Zinssenkung.

Vor der „Zinswende“ im Sommer 2022 lag der Leitzins seit 2016 bei einem Niveau von 0 %. Hintergrund waren die weltweite
Finanzkrise sowie
die Folgen der Staatsschuldenkrise in Griechenland. Die EZB sorgte sich um eine sinkende Konsumnachfrage. Die
angestrebte
Preisstabilität einer jährlichen Inflationsrate von 2 % erreichte die Notenbank über lange Zeit nicht. Entsprechend
expansiv war die Geldpolitik der EZB.

Aufgrund der Corona-Krise und Lieferketten, die durcheinander geraten sind, zogen die Preise jedoch an;
zudem sorgte die
Energiekrise für einen starken Anstieg der Inflation. Daher musste die EZB umsteuern – und ihre
Geldpolitik straffen.
Wie schnell eine Leitzinserhöhung wirkt, erfahren Sie im nächsten Abschnitt. Wie sich die Inflation in der Eurozone
sowie der Leitzins der EZB zwischen 2008 und 2022 entwickelt hat, können Sie gut in der folgenden Grafik sehen:

Leitzins und Inflation im Zeitverlauf
Quellen:

Bundesbank 
, Eurostat, Eigene
Recherche
Jeweils monatliche Inflationsrate im Vergleich zu Vorjahresmonat

Analog zur EZB gibt es in anderen Ländern Zentralbanken, die sich um die Geldpolitik kümmern. Wichtig ist
hier die Federal Reserve (Fed), deren Leitzins seit Ende Juli 2023 in einem Korridor von
5,25 bis
5,50 % liegt. Also etwas oberhalb des Leitzinssatzes der EZB. Auch die Bank of England
(BoE) oder die
Schweizerische Notenbank (SNB) haben ihre Leitzinssätze im Zuge der stark gestiegenen
Inflation angehoben – mittlerweile aber ebenfalls eine Pause eingelegt.

Wie schnell wirkt eine Leitzinserhöhung?

Das ist die entscheidende Frage. Wie lange es dauert, bis ein Zinsschritt tatsächlich bei Ihnen ankommt, also die Preise
sinken, lässt sich nicht sicher sagen. Oftmals wird von Monaten ausgegangen, bis sich die Anhebung des Leitzinses auf
die Inflation auswirkt. Laut einer Studie der Europäischen Zentralbank aus dem Frühjahr 2023 dürfte sich die Anhebung
des Leitzinses „überwiegend ab 2023 manifestieren“, 2024 indes den Höhepunkt erreichen[7].

2022 sei die Inflation in der Eurozone bereits um 50 Basispunkte, also einen halben Prozentpunkt, zurückgegangen. Auch im Jahr 2023 ging die Inflation deutlich zurück – inwiefern das auf die Zinserhöhungen zurückzuführen ist, steht dabei nicht fest.

Grundsätzlich gilt: Wirkungsverzögerungen und unvollständige Kenntnisse machen es Notenbanken schwer, ihre Ziele direkt
zu steuern. Bei der Festlegung der Leitzinsen ist daher viel Wunschdenken im Spiel. Die EZB kann derweil nur
Grundvoraussetzungen schaffen: Der Rest liegt letztlich bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern, den Geschäftsbanken
und dem Markt. Die Zentralbank beobachtet die Auswirkungen eines Zinsschrittes sehr genau und passt die Strategie bei
externen Änderungen ggf. an.

Was bedeutet eine Anhebung des Leitzinses für Verbraucher, Sparer
und die Wirtschaft?

Eine Zinserhöhung hat vielfältige, unterschiedliche Folgen für Verbraucherinnen und Verbraucher, Sparerinnen und Sparer,
Kreditnehmerinnen und -nehmer, Banken sowie Unternehmen. Eine Übersicht:

Betroffen
Auswirkungen Zinsanhebung
Verbraucher im besten Fall: Preise sinken, Kaufkraft steigt; Konsumnachfrage geht zurück
Banken geben Zinsen in Form höherer Kredite an Verbraucher und Unternehmen weiter, schaffen Verwahrentgelte
ab, Sparzinsen steigen
Kreditnehmer Darlehenszinsen steigen, Kredite werden teurer
Sparer Sparzinsen steigen, Strafzinsen auf Sparguthaben entfallen
Investoren tendenziell Verwerfungen auf Aktienmarkt, (steigende Zinsen sind aber in der aktuellen Situationen
bereits eingepreist)
Häuslebauer, Immobilienkäufer Bauzinsen steigen, Darlehen werden teurer
Unternehmen Kredite werden teurer, Investitionen werden zurückgestellt
Wirtschaft Gesamtwirtschaftliche Nachfrage sinkt, Wachstum wird gehemmt, Konjunktur kühlt sich ab

Investment geschenkt


Ihr Gutscheincode

10 € Startguthaben

Exkurs: Welche Folgen hat eine Erhöhung der Leitzinsen für Sie als Sparerin oder Sparer?

Grundsätzlich ist eine restriktive Geldpolitik eine gute Nachricht für Sparerinnen und Sparer im
Euroraum. Steigt das
Zinsniveau, hat das auch Auswirkungen aufs Tagesgeld, Festgeld oder Ihre Spareinlagen. Tatsächlich spielen in der Praxis vor
allem der Einlagenzins sowie der Spitzenrefinanzierungssatz für Sie als Sparerin oder
Sparer eine Rolle – vor allem beim
Tagesgeld.

Benötigen Geschäftsbanken kurzfristig Kapital, können sie das gegen den Spitzenrefinanzierungssatz von der EZB erhalten.
Sie sind folglich nicht bereit, bei einem Konkurrenten mehr für einen kurzfristigen Kredit zu zahlen als diesen Satz.
Daher müssen Banken wettbewerbsfähige Zinssätze anbieten, um Geschäfte abzuschließen. Somit stellt der
Spitzenrefinanzierungssatz die Obergrenze für die Tagesgeldzinsen dar.

Der Einlagensatz hingegen funktioniert genau entgegengesetzt. Kreditinstitute können ihr Kapital kurzfristig bei der EZB
zu diesem Satz anlegen. Ihre Konditionen müssen die Banken folglich an diesem Zins ausrichten, der Einlagenzins ist de
facto der Mindestzinssatz für Tagesgeld. Doch ein steigendes Zinsniveau wirkt sich aufs Festgeld aus – etwas verzögert
im Vergleich zum Tagesgeld.

Tagesgeld

Täglich verfügbar

Festgeld

3 Jahre Laufzeit

Auch wenn die höheren Zinsen zunächst angenehm sind, ist es fraglich, inwiefern sie tatsächlich die Inflation
ausgleichen können
. Real dürfte Ihr Geld auf dem Sparkonto auf Dauer an Wert verlieren – zumal einige Anbieter bereits ihre Tagesgeldzinsen zurückschrauben. Sie sollten sich
daher nach
anderen, attraktiven Varianten der Geldanlage
umschauen, etwa einem breit gestreuten ETF-Sparplan.

Bild-Copyright: © PantherMedia / kavalenkava

Quellenangaben

  1. Europäische Zentralbank: Der Euro
  2. Drewello, H., Kupferschmidt, F., Sievering, O. (2017). Markt und Staat: Eine anwendungsorientierte
    Einführung in die allgemeine Volkswirtschaftslehre. Wiesbaden: Springer Fachmedien. S. 168
  3. Europäische Zentralbank: EZB veröffentlicht unverbindliche Kalender für ihre
    Geschäfte im Jahr 2024
  4. Europäische Zentralbank: Monetary policy decisions
  5. Statistisches Bundesamt: Verbraucherpreisindex und Inflationsrate
  6. Europäische Zentralbank: Key ECB interest rates
  7. Europäische Zentralbank: Wirtschaftsbericht, Ausgabe 3/2023