Von Mauritius Kloft – aktualisiert am 15.05.2024
Jeder hatte ihn bereits in der Hand: Einen Geldschein mit der Unterschrift von Christine Lagarde, Präsidentin der
Europäischen Zentralbank (EZB). Die EZB ist die Hüterin des Euro – und soll mit ihrer Geldpolitik für
Preisstabilität im
Eurosystem sorgen. Ihr oberstes Mittel dazu ist der Leitzins, den sie im Sommer 2022 nach elf Jahren wieder anhob und so
eine „Zinswende“ einläutete.
Doch wie funktioniert der Leitzins der Zentralbank genau? Und welche Folgen zieht eine Zinserhöhung
nach sich? Wir klären die wichtigsten Fragen rund um die Geldpolitik der EZB.
Steuert die EZB nur den Leitzins?
Mehr zu den Instrumenten
der Geldpolitik
Wollen Sie den besten Zins finden?
Zum Tagesgeld-Vergleich!
Die Europäische Notenbank ist für die Geldpolitik in der Eurozone zuständig. Das bedeutet – kurz gesagt
– sie kümmert
sich um die Verfügbarkeit des Geldes[1] und versucht, seinen Preis zu regulieren. Die
Zentralbanker werden daher auch als
Währungshüter bezeichnet.
Das vorrangige gesamtwirtschaftliche Ziel ihrer Geldpolitik ist die sogenannte Preisniveaustabilität.
Die EZB will also
die Inflationsrate stabil halten, mittelfristig liegt das Ziel hierfür bei einer jährlichen Inflation von
2,0 %. Dafür
steuert die Zentralbank die Geldmenge: Sie legt also fest, wie viel Geld in der Eurozone im Umlauf ist. Dabei
unterscheidet man zwischen einer expansiven bzw. ultralockeren und einer restriktiven bzw. straffen
Geldpolitik[2]:
Wann stehen die Zinsentscheidungen an?
Der EZB-Rat trifft sich regelmäßig, um über den geldpolitischen Kurs der Zentralbank zu diskutieren. Bei den Sitzungen
steht aber nur alle sechs Wochen ein Zinsentscheid an. Für das Jahr 2024 sind noch an folgenden Terminen Zinsentscheide geplant[3]:
Um ihren Auftrag im Rahmen der Geldpolitik zu erfüllen, die Geldmenge anzupassen und das Preisniveau zu stabilisieren,
hat die EZB maßgeblich zwei Instrumente: Sie kann zum einen ihre Zinssätze anpassen, zum anderen kann
sie Staatsanleihen kaufen oder verkaufen.
Im Normalfall spricht man nur von einem Leitzins. Das aber ist nicht ganz korrekt. Denn die EZB hat genau genommen drei
Leitzinssätze, die sie anpassen kann[4]. Die Namen klingen etwas kompliziert, doch davon
sollten Sie sich nicht abschrecken
lassen.
Eine Übersicht:
Zinssatz für das Hauptrefinanzierungsgeschäft
Den Hauptrefinanzierungssatz müssen Geschäftsbanken zahlen, wenn sie sich Geld bei der Europäischen Zentralbank
leihen
möchten, sich also refinanzieren wollen. Er ist deshalb der wichtigste Zinssatz der EZB. Der
Hauptrefinanzierungssatz
wird daher im Regelfall als der „Leitzins“ bezeichnet.
Das Hauptrefinanzierungsgeschäft der EZB läuft dabei über ein sogenanntes Tenderverfahren, bei dem sich Banken
Liquidität beschaffen können. Jede Woche versteigert die Notenbank im Grunde einen Kredit, der von der EZB an diejenige
Geschäftsbank verliehen wird, die den höchsten Zins zahlt. Das Mindestgebot muss mindestens beim Zinssatz für das
Hauptrefinanzierungsgeschäft liegen, dem Leitzins.
Der Leitzins liegt aktuell () bei . Lange Zeit rangierte der Hauptrefinanzierungssatz der EZB
dagegen nur bei 0 %. Im Zuge der stark gestiegenen Inflation infolge des Ukraine-Krieges hob die Notenbank ihn
jedoch schrittweise an (mehr dazu unten).
Zinssatz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität
Zum Spitzenrefinanzierungssatz können sich Geschäftsbanken kurzfristig Geld bei der EZB leihen, das
heißt: über Nacht.
Dafür müssen sie bestimmte Sicherheiten bei der Notenbank hinterlegen. Die Kredite werden bereits am nächsten Tag
fällig.
So können Kreditinstitute etwa gesetzliche Einlagen finanzieren und erfüllen. Der Spitzenrefinanzierungssatz liegt
aktuell () bei .
Zinssatz für die Einlagefazilität
Zum Einlagezinssatz können Geschäftsbanken überschüssiges Geld bei der EZB parken. Der Einlagensatz
rangiert aktuell () bei .
Beim Einlagenzins zeigte sich die Zinswende deutlich: Denn der Einlagensatz war bis 2022 noch negativ, rangierte bis
2022 bei minus 0,5 %. Geschäftsbanken mussten also noch dafür zahlen, wenn sie ihr Geld bei der EZB parken wollten.
Das gaben sie in Form von sogenannten Verwahrentgelten an Sparer weiter, was nichts anderes als Strafzinsen bedeutete.
Entwicklung der EZB-Zinssätze zwischen 2019 und heute
Neben ihren Zinssätzen kann die EZB noch die Geldmenge regulieren, indem sie Staatsanleihen aufkauft und so
direkt Geld
in den Markt pumpt. Oftmals wird in dem Zusammenhang davon gesprochen, dass die Notenbank Geld „druckt“ –
das stimmt aber höchstens im übertragenen Sinne. Denn die Druckerpresse wirft die EZB nicht an.
Weitet sie den Ankauf von Staatsanleihen aus, steigt die
Geldmenge, was die Inflation anheizen soll. Denn: Je mehr Geld
im Umlauf ist, desto weniger ist es wert. Das treibt die Konsumfreudigkeit und entsprechend die Preise. Fährt die
Notenbank den Ankauf von Staatsanleihen indes zurück, funktioniert das Phänomen genau andersherum: Die EZB nimmt wieder
Geld aus dem Markt, lässt den Wert des Geldes ansteigen und drückt so die Teuerung.
Im Zuge der stark gestiegenen Inflation[5] hat die EZB ihren Leitzins ab dem Sommer
2022 deutlich
angehoben, in
regelmäßigen Schritten. Nach zehn Anhebungen machte sie Ende Oktober 2023 eine Pause, die sie im Dezember 2023, im Januar sowie im Frühjahr 2024 fortsetzte. Der Leitzins rangiert aktuell () bei , der Einlagenzins liegt bei
und der Spitzenrefinanzierungssatz bei [6] (siehe oben). Diese Leitzinsanhebung wird
allgemein als „Zinswende“ bezeichnet. Allerdings ist es wahrscheinlich, dass der Zinsgipfel mittlerweile erreicht ist – vielmehr diskutieren Experten bereits darüber, wann die EZB ihre Leitzinsen wieder senkt. Experten rechnen im Juni mit einer ersten Zinssenkung.
Vor der „Zinswende“ im Sommer 2022 lag der Leitzins seit 2016 bei einem Niveau von 0 %. Hintergrund waren die weltweite
Finanzkrise sowie
die Folgen der Staatsschuldenkrise in Griechenland. Die EZB sorgte sich um eine sinkende Konsumnachfrage. Die
angestrebte
Preisstabilität einer jährlichen Inflationsrate von 2 % erreichte die Notenbank über lange Zeit nicht. Entsprechend
expansiv war die Geldpolitik der EZB.
Aufgrund der Corona-Krise und Lieferketten, die durcheinander geraten sind, zogen die Preise jedoch an;
zudem sorgte die
Energiekrise für einen starken Anstieg der Inflation. Daher musste die EZB umsteuern – und ihre
Geldpolitik straffen.
Wie schnell eine Leitzinserhöhung wirkt, erfahren Sie im nächsten Abschnitt. Wie sich die Inflation in der Eurozone
sowie der Leitzins der EZB zwischen 2008 und 2022 entwickelt hat, können Sie gut in der folgenden Grafik sehen:
Das ist die entscheidende Frage. Wie lange es dauert, bis ein Zinsschritt tatsächlich bei Ihnen ankommt, also die Preise
sinken, lässt sich nicht sicher sagen. Oftmals wird von Monaten ausgegangen, bis sich die Anhebung des Leitzinses auf
die Inflation auswirkt. Laut einer Studie der Europäischen Zentralbank aus dem Frühjahr 2023 dürfte sich die Anhebung
des Leitzinses „überwiegend ab 2023 manifestieren“, 2024 indes den Höhepunkt erreichen[7].
2022 sei die Inflation in der Eurozone bereits um 50 Basispunkte, also einen halben Prozentpunkt, zurückgegangen. Auch im Jahr 2023 ging die Inflation deutlich zurück – inwiefern das auf die Zinserhöhungen zurückzuführen ist, steht dabei nicht fest.
Grundsätzlich gilt: Wirkungsverzögerungen und unvollständige Kenntnisse machen es Notenbanken schwer, ihre Ziele direkt
zu steuern. Bei der Festlegung der Leitzinsen ist daher viel Wunschdenken im Spiel. Die EZB kann derweil nur
Grundvoraussetzungen schaffen: Der Rest liegt letztlich bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern, den Geschäftsbanken
und dem Markt. Die Zentralbank beobachtet die Auswirkungen eines Zinsschrittes sehr genau und passt die Strategie bei
externen Änderungen ggf. an.
Eine Zinserhöhung hat vielfältige, unterschiedliche Folgen für Verbraucherinnen und Verbraucher, Sparerinnen und Sparer,
Kreditnehmerinnen und -nehmer, Banken sowie Unternehmen. Eine Übersicht:
Betroffen | Auswirkungen Zinsanhebung |
---|---|
Verbraucher | im besten Fall: Preise sinken, Kaufkraft steigt; Konsumnachfrage geht zurück |
Banken | geben Zinsen in Form höherer Kredite an Verbraucher und Unternehmen weiter, schaffen Verwahrentgelte ab, Sparzinsen steigen |
Kreditnehmer | Darlehenszinsen steigen, Kredite werden teurer |
Sparer | Sparzinsen steigen, Strafzinsen auf Sparguthaben entfallen |
Investoren | tendenziell Verwerfungen auf Aktienmarkt, (steigende Zinsen sind aber in der aktuellen Situationen bereits eingepreist) |
Häuslebauer, Immobilienkäufer | Bauzinsen steigen, Darlehen werden teurer |
Unternehmen | Kredite werden teurer, Investitionen werden zurückgestellt |
Wirtschaft | Gesamtwirtschaftliche Nachfrage sinkt, Wachstum wird gehemmt, Konjunktur kühlt sich ab |
Verbraucher
Für Verbraucherinnen und Verbraucher ist eine restriktive Geldpolitik bei steigender Inflation insofern
eine gute Nachricht, als dass die Preise sinken sollen. Jedoch ist fraglich, wie schnell eine Anhebung
des Leitzinses tatsächlich auf das Preisniveau durchschlägt (siehe oben). Zumal eine Straffung der
Geldpolitik grundsätzlich auch die Wirtschaft dämpfen kann, was für Verbraucherinnen und Verbraucher
wiederum negative Folgen hat. Zudem wird es teurer, einen Kredit aufzunehmen (siehe weiter unten).
Banken
Kreditnehmer
Jeder, der einen Kredit aufnehmen möchte, muss mit höheren Zinsen rechnen. Denn die Kosten für Kredite
orientieren sich am allgemeinen Zinsniveau, das im Zuge der Zinswende gestiegen ist – und weiter steigen
könnte.
Sparer
Sparerinnen und Sparer können sich über die Zinsschritte freuen. Denn die Zinsen für Tages- oder Festgeld
ziehen an (siehe unten). Real verliert Ihr Geld angesichts der hohen Inflation jedoch an Wert, wenn Sie
es lediglich auf dem Festgeld- oder Tagesgeldkonto parken.
Investoren
Werden andere Anlagemöglichkeiten wieder attraktiver, sorgt das am Aktienmarkt tendenziell für
Verwerfungen und sinkende Kurse – zumindest in der Theorie. Die Zinsentwicklung können Anlegerinnen und
Anleger bereits eingepreist haben.
Immobilienkäufer
Bauzinsen orientieren sich an zehnjährigen Bundesanleihen, deren Rendite war bereits vor einem ersten
Zinsschritt der EZB deutlich gestiegen – und so auch die Hypothekenzinsen. Aktuell () rangieren sie bei bei zehnjähriger Zinsbindung. Sie sind entsprechend wieder am Fallen.
Unternehmen
Für Unternehmen werden Kredite ebenfalls teurer, weil die Zinsen steigen. Entsprechend dürften
Unternehmen Investitionen zurückschrauben, um Zinskosten zu sparen. Auch Arbeitsplätze dürften, so die
Theorie, bei einer Zinsanhebung eher zurückgehen.
Wirtschaft
Da die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sinkt, droht bei steigenden Zinsen generell ein Abwürgen der
Wirtschaft. Jedoch könnten zu stark anziehende Preise ebenfalls das Wirtschaftswachstum dämpfen – und zu
einer Rezession führen. Die Notenbanker bewegen sich bei ihrer Geldpolitik auf einem sehr
schmalen Grat.
Exkurs: Welche Folgen hat eine Erhöhung der Leitzinsen für Sie als Sparerin oder Sparer?
Grundsätzlich ist eine restriktive Geldpolitik eine gute Nachricht für Sparerinnen und Sparer im
Euroraum. Steigt das
Zinsniveau, hat das auch Auswirkungen aufs Tagesgeld, Festgeld oder Ihre Spareinlagen. Tatsächlich spielen in der Praxis vor
allem der Einlagenzins sowie der Spitzenrefinanzierungssatz für Sie als Sparerin oder
Sparer eine Rolle – vor allem beim
Tagesgeld.
Benötigen Geschäftsbanken kurzfristig Kapital, können sie das gegen den Spitzenrefinanzierungssatz von der EZB erhalten.
Sie sind folglich nicht bereit, bei einem Konkurrenten mehr für einen kurzfristigen Kredit zu zahlen als diesen Satz.
Daher müssen Banken wettbewerbsfähige Zinssätze anbieten, um Geschäfte abzuschließen. Somit stellt der
Spitzenrefinanzierungssatz die Obergrenze für die Tagesgeldzinsen dar.
Der Einlagensatz hingegen funktioniert genau entgegengesetzt. Kreditinstitute können ihr Kapital kurzfristig bei der EZB
zu diesem Satz anlegen. Ihre Konditionen müssen die Banken folglich an diesem Zins ausrichten, der Einlagenzins ist de
facto der Mindestzinssatz für Tagesgeld. Doch ein steigendes Zinsniveau wirkt sich aufs Festgeld aus – etwas verzögert
im Vergleich zum Tagesgeld.
Täglich verfügbar
3 Jahre Laufzeit
Auch wenn die höheren Zinsen zunächst angenehm sind, ist es fraglich, inwiefern sie tatsächlich die Inflation
ausgleichen können. Real dürfte Ihr Geld auf dem Sparkonto auf Dauer an Wert verlieren – zumal einige Anbieter bereits ihre Tagesgeldzinsen zurückschrauben. Sie sollten sich
daher nach
anderen, attraktiven Varianten der Geldanlage
umschauen, etwa einem breit gestreuten ETF-Sparplan.
Bild-Copyright: © PantherMedia / kavalenkava
Quellenangaben