Von Mauritius Kloft – aktualisiert am 04.05.2023
Der 21. Juli 2022 markierte in der jüngsten Geschichte der Europäischen Zentralbank (EZB) ein wichtiges Datum. Und so auch für viele Investoren, Banken und Unternehmen. Denn an diesem Tag leitete die Notenbank der Eurozone endgültig eine Zinswende ein.
Nach elf Jahren hob die EZB erstmals wieder den Leitzins an, der zuvor seit 2016 bei 0 % lag. Nötig wurde das Ende der Nullzinsen wegen der stark gestiegenen Inflation im Zuge des Ukraine-Krieges[1].
Doch wie funktioniert der Leitzins der EZB überhaupt? Und welche Folgen bringt eine Zinserhöhung mit sich? BERGFÜRST erklärt die wichtigsten Fragen rund um die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank.
Die Europäische Notenbank ist für die Geldpolitik in der Eurozone zuständig. Das bedeutet, kurz gesagt, sie kümmert sich um die Verfügbarkeit des Geldes[2] und versucht, seinen Preis zu regulieren. Die Zentralbanker werden daher auch als Währungshüter bezeichnet.
Das vorrangige gesamtwirtschaftliche Ziel ihrer Geldpolitik ist die sogenannte Preisniveaustabilität. Die EZB will also die Inflationsrate stabil halten, mittelfristig liegt das Ziel bei 2 %. Dafür steuert sie die Geldmenge: Sie legt also fest, wie viel Geld in der Eurozone im Umlauf ist. Dabei unterscheidet man zwischen einer expansiven bzw. ultralockeren und einer restriktiven bzw. straffen Geldpolitik[3]:
Um ihren Auftrag im Rahmen der Geldpolitik zu erfüllen, die Geldmenge anzupassen und das Preisniveau zu stabilisieren, hat die EZB maßgeblich zwei Instrumente: Sie kann zum einen ihre Zinssätze anpassen, zum anderen kann sie Staatsanleihen kaufen.
Im Normalfall spricht man nur von einem Leitzins. Das aber ist nicht ganz korrekt. Denn die EZB hat genau genommen drei Leitzinssätze, die sie anpassen kann[4]. Die Namen klingen etwas kompliziert, doch davon sollten Sie sich nicht abschrecken lassen.
Ein Überblick:
Zinssatz für das Hauptrefinanzierungsgeschäft
Den Hauptrefinanzierungssatz müssen Geschäftsbanken zahlen, wenn sie sich Geld bei der Europäischen Zentralbank leihen möchten, sich also refinanzieren wollen. Er ist deshalb der wichtigste Zinssatz der EZB. Der Hauptrefinanzierungssatz wird daher im Regelfall als der „Leitzins“ bezeichnet.
Das Hauptrefinanzierungsgeschäft der EZB läuft dabei über ein sogenanntes Tenderverfahren, bei dem sich Banken Liquidität beschaffen können. Jede Woche versteigert die Notenbank im Grunde einen Kredit, der von der EZB an diejenige Geschäftsbank verliehen wird, die den höchsten Zins zahlt. Das Mindestgebot muss mindestens beim Zinssatz für das Hauptrefinanzierungsgeschäft liegen, dem Leitzins.
Lange Zeit rangierte der Leitzins der EZB bei 0 %, im Zuge der stark gestiegenen Inflation infolge des Ukraine-Krieges hob die Notenbank den Leitzins im Laufe des Jahres 2022 deutlich an. Auch 2023 setzte sie diesen Weg fort und erhöhte den Zinssatz auf mittlerweile
(, mehr dazu unten).
Zinssatz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität
Zum Spitzenrefinanzierungssatz können sich Geschäftsbanken kurzfristig Geld bei der EZB leihen, das heißt: über Nacht. Dafür müssen sie bestimmte Sicherheiten bei der Notenbank hinterlegen. Die Kredite werden bereits am nächsten Tag fällig. So können Kreditinstitute etwa gesetzliche Einlagen finanzieren und erfüllen. Der Spitzenrefinanzierungssatz liegt aktuell () bei .
Zinssatz für die Einlagefazilität
Zum wichtigen Einlagezinssatz können Geschäftsbanken überschüssiges Geld bei der EZB parken. Der Einlagensatz rangierte bis 2022 bei minus 0,5 % – Geschäftsbanken mussten also noch dafür zahlen, wenn sie ihr Geld bei der EZB parken wollten. Das gaben sie in Form von sogenannten Verwahrentgelten an Sparer weiter, was nichts anderes als Strafzinsen bedeutete. Seit der Zinswende haben viele Banken aber bereits angekündigt, die Negativzinsen abzuschaffen. Mittlerweile () liegt der Einlagenzins bei .
Neben ihren Zinssätzen kann die EZB noch die Geldmenge regulieren, indem sie Staatsanleihen aufkauft und so direkt Geld in den Markt pumpt. Oftmals wird in dem Zusammenhang davon gesprochen, dass die Notenbank Geld „druckt“ – das stimmt aber höchstens im übertragenen Sinne. Denn die Druckerpresse wirft die EZB nicht an.
Weitet sie den Ankauf von Staatsanleihen aus, steigt die Geldmenge, was in der Theorie die Inflation anheizt. Denn: Je mehr Geld im Umlauf ist, desto weniger ist es wert. Das treibt die Preise.
Fährt die Notenbank den Ankauf von Staatsanleihen indes zurück, funktioniert das Phänomen genau andersherum: Die EZB nimmt wieder Geld aus dem Markt, lässt den Wert des Geldes ansteigen und drückt so die Teuerung.
Wegen der rasant gestiegenen Inflation. Im Zuge des Ukraine-Krieges zogen besonders die Energiepreise deutlich an, auch die Preise für Lebensmittel erhöhten sich drastisch. Zuletzt verlangsamten sich die Preissteigerungen indes etwas.
In der Eurozone lag die Inflation im April 2023 bei 7,0 %[5] im Vergleich zum Vorjahresmonat, im Dezember lag die Inflation noch bei 9,2 % im Vergleich zum Dezember 2021. In Deutschland stieg die Teuerung im Januar 2023 wieder leicht an, auf 8,7 % im Vergleich zum Vorjahresmonat. Im April sank sie etwas auf 7,2 %[6]. Im Jahr 2022 lag die Teuerungsrate bei 7,9 %: Damit rangiert die Inflation weit über der EZB-Zielmarke von rund 2 %.
Um die Inflation zu bekämpfen und dafür zu sorgen, dass sich die Inflationserwartungen von Unternehmen, Banken und Verbrauchern nicht verfestigen, leitete die Europäische Zentralbank im Sommer 2022 eine Zinswende ein. Zuvor war jahrelang das Gegenteil der Fall: Die EZB versuchte mit einer ultralockeren Geldpolitik die Inflation anzukurbeln.
Entwicklung der EZB-Zinssätze von 2008 bis heute
In den Jahren 2015 und 2016 lag die jährliche Inflationsrate bei nahe 0 %. Zwischenzeitlich war die Inflationsrate zwar leicht angestiegen, die von der EZB angestrebten 2 % konnte sie über lange Zeit dennoch nicht erreichen. Entsprechend expansiv war die Geldpolitik der Notenbank. Wegen der Corona-Krise und den Lieferketten, die durcheinander geraten sind, zogen die Preise jedoch an; die Energiekrise sorgte für einen starken Anstieg der Inflation. Nun musste die EZB umsteuern – und die Geldpolitik straffen.
Weitere Zinsschritte sind wahrscheinlich
Im Zuge der Zinswende hat die EZB bereits Ende vergangenen Jahres angekündigt, die Anleihenkäufe der vergangenen Jahre zurückzuführen, mit denen sie Milliarden in den Markt gepumpt und so für Liquidität gesorgt hatte. Anfang Juni kündigte sie an, ihre milliardenschweren Netto-Anleihenkäufe zum 1. Juli einzustellen – und damit den Weg für einen Zinsschritt freizumachen.
Die Notenbank hat im Juli den Hauptrefinanzierungssatz um 0,5 Prozentpunkte angehoben. Zuvor hatte der Zinssatz seit 2016 bei 0 % gelegen. Auch den Einlagesatz, für den Privatbanken Geld bei der EZB parken können, zog die Notenbank an. Mitte Dezember folgte der insgesamt vierte Zinsschritt im Jahr 2022, fiel allerdings mit einem Anstieg von jeweils 0,5 Prozentpunkten geringer aus als zuvor. 2023 fuhr die EZB mit diesem Kurs fort. Aktuell () liegt der Hauptrefinanzierungssatz, also der „Leitzins“, bei , der Einlagenzins bei und der Spitzenrefinanzierungssatz bei [7]. Wegen der Turbulenzen im Bankensektor wurde über eine Verlangsamung der Zinsanhebungen spekuliert – zu der es aber nicht kam.
Das ist die entscheidende Frage. Wie lange es dauert, bis ein Zinsschritt tatsächlich beim Verbraucher ankommt, die Preise sinken lässt, lässt sich nicht sicher sagen. Oftmals wird von Monaten ausgegangen, bis die Anhebung des Leitzinses sich auf die Inflation auswirkt. Die EZB beobachtet die Folgen eines Zinsschrittes sehr genau und passt die Strategie bei externen Änderungen ggf. an.
Für die Zinsen für Kredite und Sparguthaben hat die Zinserhöhung bisweilen bereits vor dem eigentlichen Schritt Folgen – denn der Markt verfolgt mit Spannung die Äußerungen der Währungshüter und reagiert entsprechend darauf.
Ob eine geldpolitische Maßnahme tatsächlich erfolgreich ist, lässt sich im Voraus nicht genau sagen. Wirkungsverzögerungen und unvollständige Kenntnisse über die genauen Übertragungskanäle geldpolitischer Maßnahmen machen es Notenbanken schwer, ihre Ziele direkt zu steuern. Bei der Festlegung der Zinsen ist viel Wunschdenken im Spiel, denn die EZB kann nur Grundvoraussetzungen schaffen: Der Rest liegt letztlich beim Verbraucher, den Geschäftsbanken und dem Markt.
Eine Zinserhöhung hat vielfältige, unterschiedliche Folgen für Verbraucher, Sparer, Kreditnehmer, Banken und Unternehmen. Daher haben wir eine kurze Übersicht für Sie erstellt:
Betroffen | Auswirkungen Zinsanhebung |
---|---|
Verbraucher | im besten Fall: Preise sinken, Kaufkraft steigt; Konsumnachfrage geht zurück |
Banken | geben Zinsen in Form höherer Kredite an Verbraucher und Unternehmen weiter, schaffen Verwahrentgelte ab, Sparzinsen steigen |
Kreditnehmer | Darlehenszinsen steigen, Kredite werden teurer |
Sparer | Strafzinsen auf Sparguthaben entfallen, Sparzinsen steigen |
Investoren | tendenziell Verwerfungen auf Aktienmarkt, (steigende Zinsen sind aber in der aktuellen Situationen bereits eingepreist) |
Verbraucher
Für Verbraucher ist eine restriktive Geldpolitik bei steigender Inflation insofern eine gute Nachricht, als dass die Preise sinken könnten. Jedoch ist fraglich, wie schnell eine Anhebung des Leitzinses tatsächlich auf das Preisniveau durchschlägt (siehe oben). Zumal eine Straffung der Geldpolitik grundsätzlich auch die Wirtschaft dämpfen kann, was auch für Verbraucher negative Folgen hat. Zudem wird es für Verbraucher teurer, einen Kredit aufzunehmen (siehe weiter unten).
Banken
Geschäftsbanken geben die gestiegenen Leitzinsen in Form höherer Kredite an Unternehmen und Verbraucher weiter. Doch im Gegensatz können sie auch wieder höhere Zinsen aufs Tagesgeld, Sparbuch oder Festgeld geben. Die Verwahrentgelte, die viele Banken wegen des negativen Einlagenzinses der EZB aufriefen, haben die Kreditinstitute wieder abgeschafft.
Kreditnehmer
Jeder, der einen Kredit aufnehmen möchte, muss mit höheren Zinsen rechnen. Denn die Kosten für Kredite orientieren sich am allgemeinen Zinsniveau, das im Zuge der Zinswende gestiegen ist – und weiter steigen könnte.
Sparer
Sparer mit hohem Sparguthaben können sich über den Zinsschritt freuen. Denn die Strafzinsen entfallen bei vielen Banken. Allerdings: Ein attraktives Zinsniveau ist noch lange nicht erreicht. Bis sich Spareinlagen wieder lohnen, dürfte es noch dauern – besonders wegen der immer noch hohen Inflation. Sparer sollten sich daher nach anderen, attraktiven Varianten der Geldanlage umschauen.
Investoren
Werden andere Anlagemöglichkeiten wieder attraktiver, sorgt das am Aktienmarkt tendenziell für Verwerfungen und sinkende Kurse. So zumindest die Theorie. Allerdings hat der Kapitalmarkt die Straffung der Geldpolitik bereits eingepreist und einen satten Zinsschritt erwartet. An der Börse dominiert vielmehr die Sorge vor einer weiter steigenden Inflation – und nicht die vor deren Bekämpfung.
Immobilienkäufer
Bauzinsen orientieren sich an zehnjährigen Bundesanleihen, deren Rendite war bereits vor einem ersten Zinsschritt der EZB deutlich gestiegen – und so auch die Bauzinsen. Aktuell () rangieren sie bei bei zehnjähriger Zinsbindung.
Unternehmen
Für Unternehmen werden ebenfalls Kredite teurer, weil die Zinsen steigen. Entsprechend dürften Unternehmen Investitionen zurückschrauben, um Zinskosten zu sparen. Auch Arbeitsplätze dürften, so die Theorie, bei einer Zinsanhebung eher zurückgehen.
Wirtschaft
Da die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sinkt, droht bei steigenden Zinsen generell auch ein Abwürgen der Wirtschaft. Jedoch könnten zu stark anziehende Preise ebenfalls das Wirtschaftswachstum dämpfen – und zu einer Rezession führen. Die Notenbanker bewegen sich bei ihrer aktuellen Geldpolitik auf einem sehr schmalen Grat.
Nicht nur im Euroraum stiegen die Preise auf breiter Front an. Mittlerweile zeigt sich jedoch ein langsames Abschwächen der Teuerung an – und damit verbunden eine weniger starke Straffung der Geldpolitik. In den USA beispielsweise lag die Inflationsrate im März 2023
bei 5,0 % . Im Juni 2022 rangierte sie in den USA noch bei einem 40-Jahres-Hoch von 9,1 %.
Das US-Pendant zur EZB, die Federal Reserve (Fed), leitete bereits im Frühjahr eine Zinswende ein. Mitte Dezember zog die Fed den Leitzins das fünfte Mal in Folge an, diesmal jedoch nur um 0,5 Prozentpunkte – nach vier Riesenschritten zuvor. Auch Ende Januar, Ende März und Anfang Mai 2023 erhöhte sie den Leitzins, mit 0,25 Prozentpunkten jedoch weniger stark als zuvor. Dieser rangiert in einem Korridor von 5 bis 5,25 %, also oberhalb des Leitzinssatzes der EZB. Trotz der Verwerfungen im US-Bankensektor hat die Notenbank ihr Zinstempo nicht gedrosselt – aber ein Ende der Zinsanhebungen für den Sommer angedeutet.
Auch die Schweiz oder Großbritannien hoben die Leitzinsen an, um die Inflation zu bekämpfen. So erhöhte die Schweizerische Notenbank (SNB) den Leitzins zuletzt um 0,5 Prozentpunkte auf 1,5 %. Das ist der vierte Zinsschritt seit Sommer vergangenen Jahres. Die Bank of England (BoE) begann bereits Ende 2021 mit einer Straffung ihrer Geldpolitik. Mit der elften Anhebung in Folge liegt der Leitzins der Bank of England mittlerweile bei 4,25 %.
Entwicklung der Leitzinsen in den USA, der Schweiz und Großbritannien
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